Bericht zum Online-Fachgespräch: „Gender Budgeting – ein Instrument für gute Politik: Einführung in die Praxis geschlechtergerechter Haushaltsführung“ am 31.05.2022

Genderbudgeting

Wie können wir als Landesparlamentar*innen dazu beitragen, für mehr Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern zu sorgen? Diese Frage begleitet unser tägliches Handeln. Kann sich Gleichstellung auch in einem Landeshaushalt widerspiegeln? Um das herauszufinden, hat unsere frauen- und gleichstellungspolitische Sprecherin Laura Wahl am 31. Mai zu einem digitalen Fachgespräch eingeladen. Mit Dr. Mara Kuhl, Verwaltungs- und Politikberaterin und Spezialistin rund um alle Fragen zum Thema Gender Budgeting, sprach sie über die Chancen vom Gender Budgeting, was der Begriff überhaupt bedeutet und wie sich dieses Instrument der Haushaltspolitik in Thüringen umsetzen lassen könnte.

WAS IST GENDER BUDGETING ÜBERHAUPT?

Ihren Vortrag startete Dr. Mara Kuhl mit der Beantwortung der Frage was Gender Budgeting überhaupt ist und was es beinhaltet. Zunächst stellte sie klar, dass es sich um ein Instrument des Haushalts handelt und ein Ausdruck der politischen Prioritätensetzung ist. Dies begründet sich darin, dass die Verteilung von Ressourcen die Gesellschaft strukturiert und so über Chancen, Privilegien und Macht mitentscheidet. Die Definition, die Dr. Mara Kuhl vorstellte, beschreibt Gender Budgeting als „die durchgängige Integration von Gleichstellungsorientierung im Haushaltsprozess.“ Darüber hinaus erklärte sie, dass mit diesem Verteilungsinstrument die Demokratieversprechen einer gerechten und chancengleichen Gesellschaft zumindest teilweise verwirklicht werden können. Hierbei sind die Begriffe Verteilungs- und Wirkungsgerechtigkeit von besonderer Relevanz, da Gender Budgeting sich sowohl am tatsächlichen Bedarf aber auch an der zur erwartenden Wirkung der Förderung ausrichten sollte. Somit sieht die Expertin Gender Budgeting als zentrales Gestaltungsinstrument der Politik.

Eine entscheidende Funktion des Instruments ist hierbei, die systematische Analyse von Budgets. Konkret also, wo das Geld hingeht, welche Auswirkungen einzelne Budget-Entscheidungen haben sowie die bewusste Steuerung der Ziele, die durch das Einsetzen der Gelder, erreicht werden sollen. Die Gender Budgeting Analyse bietet dabei die Möglichkeit, die Bedarfe zu erkennen und zeigt darüber hinaus auf, wie die Geschlechterverhältnisse bereits aktiv gestaltet werden oder in Zukunft gestalten werden könnten. Ein allererster Schritt muss dabei sein zu analysieren, wer das Geld bekommt und wie hierbei der Geschlechteranteil ist. Darauffolgend müssen, laut Dr. Mara Kuhl, die gleichstellungsorientierten Ziele gesetzt werden, um diese dann politisch durch eine gerechtere Ausrichtung der Geldflüsse, zu gestalten.

WELCHE AKTEUR*INNEN SIND BETEILIGT?

Der zweite Teil des Vortrags von Dr. Mara Kuhl drehte sich um die beteiligten Akteur*innen des Gender Budgetings. Der Expertin zufolge braucht es für eine erfolgreiche Umsetzung des Gender Budgetings die Kompetenz, Geschlechterverhältnisse der Gesellschaft zu erkennen, diese zu bewerten und zu beeinflussen. Die notwendige Fachkompetenz kommt von den jeweiligen Frauenpolitiker*innen, NGOs sowie Expert*innen, die gemeinsam die Initialzündung für das Gender Budgeting geben können. In der Verwaltung sind es dann die sogenannten Femokrat*innen, die feministische Anliegen aufnehmen und in den Strukturen der Ministerien verfolgen. Auch Haushälter*innen und Haushaltspolitiker*innen sind wichtige Schlüsselstellen für die Implementierung von Gender Budgeting. Demnach soll das Instrument dazu führen, dass allen klar wird, dass Gleichstellungspolitik eine tägliche Aufgabe in ihrer Facharbeit darstellen muss.

WIE KANN GENDER BUDGETING UMGESETZT WERDEN?

Weiter ging es mit der Frage der Umsetzung innerhalb des Haushaltszyklus. In allen Bereichen, von der Aufstellung, des Beschlusses, des Vollzugs bis hin zur Entlastung kann Gender Budgeting hierbei eingebracht werden, erklärte Dr. Mara Kuhl. Die Verwaltung stellt dabei auf Grundlage von Analysen den Haushalt auf und weist die jeweiligen relevanten Informationen aus. In der Phase des Vollzugs werden dann die Mittel mithilfe einer gleichstellungspolitischen Steuerung vergeben und gleichzeitig neue Daten über die tatsächliche Verteilung gesammelt. „Das heißt konkret, dass in Einzelplänen und Budgets geschaut wird: Wo gehen welche Gelder hin? Wer nimmt diese in Anspruch und an wen gehen mögliche Subventionen?“, so die Expertin. Die Politik muss gleichzeitig diskutieren, welche gleichstellungspolitischen Ziele mit dem Instrument verfolgt werden und in der letzten Zyklusphase kontrollieren, inwiefern diese erreicht worden sind. Als Fazit der Umsetzung stellte Dr. Mara Kuhl noch einmal klar, wie wichtig eine moderne Verwaltung und das Zusammenspiel mit verwaltungsaffiner Politik im Gender Budgeting ist.

WO WIRD DAS GENDER BUGDETING BEREITS ANGEWENDET?

In einem Praxisbeispiel des Landes Berlin, in dem bereits zu Beginn der 2000er Jahre Gender Budgeting implementiert wurde, skizzierte die Expertin, wie ein solches Vorhaben gelingen kann. Hierbei ist der entscheidende Punkt, dass es sich um einen integrierten Ansatz handelte, der neben den Gleichstellungsbeauftragen explizit die Haushälter*innen miteingeschlossen hat. Außerdem wurde dieses Programm, laut Dr. Mara Kuhl, langfristig und entwicklungsorientiert angelegt und enthielt so eine kontinuierliche Ausweitung und Nachsteuerung der Umsetzung. Unter anderem gab es, im Rahmen einer qualitativen Erweiterung, ein Pilotprojekt mit Leitfaden für die Verwaltung. Ziel war hierbei, die gesetzten Vorhaben durch gesteuerte Budgetierung auszurichten und schlussendlich das Geld dahin zu steuern, wo Bedarfe bestehen.

Als Beispiel für die konkrete Umsetzung stellte Dr. Mara Kuhl das Meister-Bafög vor. Es handelt sich dabei um einen Zuschuss für Ausgebildete, die einen höheren Abschluss erzielen wollen. In der Analyse wurde deutlich, dass der Fokus der Förderung stark auf handwerkliche und damit männlich dominierte Berufe gelegt wurde. Demnach wurde eine geringere Unterstützung von Frauen erkannt und ein Qualifizierungsanreiz für Ausbildungsberufe, wie bspw. der Pflege oder den erzieherischen Berufen, geschaffen. Im Rahmen des Gender Budgetings wurde dies in den Haushalt implementiert und klar aufgestellt, welche Steuerungsbedarfe bestehen, um das ausgewiesene Ziel, gleich viele Frauen und Männer mit diesem Meister-Bafög unterstützen zu können, zu erreichen.  

ABSCHLUSS DISKUSSION

Zum Abschluss betonte Dr. Mara Kuhl, wie wichtig eine politische Zusammenarbeit zwischen Fraktionen, Ressorts und der Verwaltung ist. Für Mandatsträger*innen empfiehlt sie, sich in allen Bereichen des Haushaltszyklus einzumischen, die Qualität von Budgetinformationen einzufordern sowie in Haushaltskonsolidierung mitzuwirken – gerade wenn es um Kürzungen geht. Außerdem wies sie darauf hin, welche Auswirkungen bspw. eine Kürzung der Gelder für Krankenhäuser auf Frauen haben kann, die dann häufig mehr Care Arbeit im Privaten leisten müssen und so Arbeitszeit und damit einhergehend Gehalt verlieren.

Zum Ende des Vortrags eröffnete unsere Abgeordnete Laura Wahl den Raum für Nachfragen und Diskussionen. Einen wichtigen Aspekt, den sie selbst einbrachte, ist die Gefahr, sich nur auf die binären Geschlechter zu beziehen, anstatt auch LGBTQ+ Personen mitzudenken. Auch die Teilnehmer*innen äußerten sich hierzu und zeigten, dass es in anderen Bundesländern bereits Ansätze gibt, die statt Genderbudgeting, Diversitätsbudgeting verfolgen, um für alle mehr Gerechtigkeit und Gleichstellung zu erreichen. Dr. Mara Kuhl betonte hier noch einmal wie wichtig es ist, zusammenzuarbeiten, um zu verhindern, dass verschiedene Ungleichheiten gegen einander ausgespielt werden.

Eine weitere Frage, die mehrmals gestellt wurde, zielte darauf ab zu erfahren, an welchen Punkten des Haushalts ein Gender Budgeting überhaupt ansetzen soll. Dr. Mara Kuhl erklärte, dass eine wirklich sinnvolle Umsetzung nur möglich ist, wenn es einen Weggang von  offensichtlich relevanten Themen gibt und sich stattdessen die Bereiche betrachtet werden, in welchen Gendergerechtigkeit eben nicht auf der Hand liegt. Demzufolge ist zunächst ein Blick auf den Gesamthaushalt und der jeweiligen Budgetgröße hilfreich, um Wirkungsgerechtigkeit zu erzielen. Nachfolgend sollte sich, der Expertin zufolge, den Einzelplänen im Haushalt zugewandt werden, um zu prüfen, wem das Geld schlussendlich zu Gute kommt.

Zum Abschluss bedankte sich Laura bei Dr. Mara Kuhl für ihren spannenden Input und ihre Expertise zum Thema Gender Bugdeting. Sie betonte, dass sich für sie viele Fragen zum Thema Gender Budgeting geklärt haben. Darüber hinaus bedankte sie sich bei den überregionalen Teilnehmer*innen, die einen vielfältigen Einblick in die Umsetzung in anderen Bundesländern ermöglicht haben. Als Ausblick verdeutlichte sie, dass diese Veranstaltung den Prozess gestartet hat, Gender Budgeting in Thüringen weiterzudenken. Weiterhin soll der aus dem Fachgespräch resultierende Input in Zukunft für eine erfolgreiche Implementierung genutzt werden und  als ersten Schritt für einen Haushaltsbegleitantrag und somit eine erste Datensammlung dienen.

Wir bedanken uns herzlich bei Dr. Mara Kuhl für ihren Vortrag und gewinnbringenden Input, und natürlich bei allen Teilnehmer*innen für die anregende, konstruktive und spannende Debatte.

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