Europagespräch – „Handel, Investitionen, Menschenrechte: Was wir von China für Thüringen erwarten“

Europäisches Gespräch: Handel, Investition, Menschenrechte – Was wir von China für Thüringen erwarten

Seit sieben Jahren laufen die Verhandlungen zwischen der Europäischen Kommission und China zu einem Investitionsabkommen, welches bis Ende 2020 verhandelt und beschlossen werden sollte. Dies  mit dem Ziel, die zwischen China und der EU bereits bestehenden 26 bilateralen Investitionsförder- und Schutzabkommen aufzulösen und statt dessen ein reines Investitionsabkommen auf den Weg zu bringen. 2009 wurde diese Möglichkeit durch den Vertrag von Lissabon eingeräumt.

Was beinhaltet das geplante Investitionsabkommen zwischen China und der EU?

Im Investitionsabkommen sollen die bestehenden bilateralen Vereinbarungen erweitert werden, beispielsweise um Regeln zum Investitionsschutz und den Abbau von Marktzugangsbarrieren. Außerdem soll es Europäischen Unternehmen einen gleichberechtigten Zugang zum chinesischen Markt ermöglichen. Einer der größten Kritikpunkte bezüglich der Handelsbeziehungen zwischen China und der EU ist derzeit nämlich vor allem, dass es EU-Unternehmen beinahe unmöglich gemacht wird, Aufträge zur Umsetzung chinesischer Investitionsprojekte zu erhalten.

Was ist die „Neue Seidenstraße“ und was Kritiker*innen dazu sagen

Unter dem Namen Belt and Road Initiative (BRI), viele nennen es die Neue Seidenstraße, verfolgt China unabhängig von den Verhandlungen mit der EU, weitreichende Infrastrukturinvestitionen. So baut China Straßen, kauft Häfen, verleiht Gelder, exportiert Überkapazitäten und vergrößert seinen wirtschaftlichen Einfluss stetig. Doch das Projekt der neuen Seidenstraße hat fatale Klimafolgen – obwohl China zum Pariser Klimaschutzabkommen steht, sind in den letzten Jahren im Zuge der Seidenstraßeninitiative 60 neue Kohlekraftwerke entstanden. Gleichzeitig kritisieren Menschenrechtler*innen, dass die Volksrepublik China den „intensivsten Angriff auf das globale System der Menschenrechte“ (Human Rights Watch) betreibe. Chinas Vorgehen in Hongkong, gegenüber den Uiguren in Xinjiang oder gegenüber Taiwan ruft viel Kritik hervor. Der amerikanisch-chinesische Handelskonflikt bereitet überdies ebenfalls weltweit Sorgen.

Das Europagespräch: Einfluss des Handelsabkommens auf Thüringen und klare Forderungen an die Politik

Um die Bedeutung des wachsenden Einflusses Chinas für Thüringen und die Welt zu erörtern, waren am Mittwoch, dem 18.11.2020 Fachexpert*innen eingeladen, um mit uns zum nunmehr dritten Europa-Gespräch zu diskutieren. Aufgrund der andauernden pandemischen Situation entschieden wir uns, die Fachveranstaltung virtuell stattfinden zu lassen. Eingeladen waren David Missal, Journalist, Aktivist und Sinologe, Prof. Dr.-Ing. Michael Militzer, Unternehmer und Honorarprofessor an der TU Ilmenau und Reinhard Bütikofer, Mitglied des Europäischen Parlaments (Grüne/EFA) und unter anderem Vorsitzender der China-Delegation des Europäischen Parlaments. Moderiert wurde das Gespräch von unserer europapolitischen Sprecherin Madeleine Henfling. Hauptthema der Diskussion war, welche Schlüsselprobleme gelöst werden müssen, damit es zu einem Abschluss des Investitionsabkommens zwischen EU und China kommen kann.

Die Stimmen im Gespräch waren sehr unterschiedlich. David Missal konstatierte schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen seitens China und eine deutsche Wirtschaft, die sich nicht klar davon abgrenzt: „Die Situation der Uiguren - da muss man von schwerwiegendem Genozid sprechen. Und auch Deutschland ist durch Firmen involviert. Die deutsche Wirtschaft spielt einen Handlanger der chinesischen Botschaft.“ Seine Forderungen an die Politik sind deutlich: Klare Transparenz, welche Institutionen von chinesischen Geldern gefördert werden; eine anonyme Meldestelle für Spionage durch chinesische Agenten und personenbezogene Sanktionen gegen Menschenrechtsverbrechen auf chinesischer Seite.

Doch Reinhardt Bütikofer betonte, dass wir nicht selbstgerecht so tun können, als gäbe es bei uns keine Menschenrechtsverletzungen, „das zeigt die Situation auf dem Mittelmeer und das zeigt die Situation der Sinti und Roma.“ Trotzdem müsse man fordern, dass China seine Menschenrechtssituation verbessert. Außerdem gebe es laut ihm zunehmend Stimmen aus der Wirtschaft, „die sich kritisch gegenüber der Situation der Menschenrechte äußern.“ Deutsche Firmen würden bereits Konzepte entwickeln, um das Problem in China zu verhindern.

Prof. Michael Militzer brachte eine Perspektive ein, die vor allem für Wirtschaftsakteur*innen in Deutschland wichtig ist: „China hat eine langfristige Vision und bestimmt zunehmend die Weltpolitik. Das Ergebnis: es funktioniert vorerst. Wir müssen uns fragen: Sind wir auf Augenhöhe mit China?“ Damit spielt er neben der steigenden wirtschaftlichen Vormachtstellung Chinas, auch auf den zunehmenden politischen Einfluss ab, den China auf viele Länder, wie bspw. den Westbalkanstaaten, zu nehmen versucht. Die EU hatte sich hier in den letzten Jahren immer wieder ernsthaft für den Eintritt dieser Staaten in die EU eingesetzt, aus Angst, dieses Gebiet würde sonst zum Einfallstor für russische und chinesische Interessen. Zudem sei das Selbstbewusstsein chinesischer Firmen in den letzten Jahren deutlich angestiegen, jedoch habe sich die gesamte globale Situation auch verändert. Zum Thema "Auf Augenhöhe" äußert sich David Missal wie folgt: „Wir sollten uns genauso verhalten wie China, nämlich klare Ansagen zu formulieren. Auch wir müssen unsere Forderungen klar stellen - seien es wirtschaftliche oder bzgl. der Menschenrechte.“

In fast zwei Stunden diskutierten die Expert*innen, beantworteten Fragen und versuchten einen Konsens zu finden. Doch es hat sich auch gezeigt, dass sich Wirtschaftlichkeit und ethische Fragen nicht immer verbinden lassen. Das Thema China und EU ist so vielschichtig, dass ein Online-Gespräch allein dafür nicht ausreicht.

Für uns Bündnisgrüne ist klar: Menschenrechte, Umweltstandards und soziale Standards dürfen nicht verwässert oder aufgegeben werden

In diesem Jahr wird es nicht wie geplant zu einem Abschluss der Verhandlungen kommen – aber wahrscheinlich im Jahr 2021. Für uns Bündnisgrüne ist klar: Menschenrechte, Umweltstandards und soziale Standards dürfen nicht für wirtschaftliche und finanzielle Interessen verwässert oder aufgegeben werden. Die Europäische Union muss gegenüber China klare Ansagen machen und rote Linien ziehen. Die Europäische Union muss auch in Handelsfragen zu ihren Werten stehen und diese verteidigen – damit die Herausforderungen unserer Zeit wie die Klimakrise, Bewahrung der Demokratie und des Rechtsstaates sowie der Menschenrechte bewahrt werden.

Wir bedanken uns bei den Interessierten sowie den Expert*innen für ihren Input und ihre Zeit und hoffen, das Europa-Gespräch im nächsten Jahr wieder physisch stattfinden lassen zu können.

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