
Auf Einladung des Landesfrauenrates Thüringen diskutieren heute die frauen- und gleichstellungspolitischen SprecherInnen der Landtagsfraktionen im Frauenzentrum Erfurt über den Handlungsbedarf in Sachen Gleichstellung. Grundlage der Diskussion bildet der Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, welcher, so jedenfalls die Meinung der grünen Frauenpolitikerin Astrid Rothe-Beinlich, in Bund wie Land bisher „sträflich vernachlässigt“ wird.
„Dieser Bericht und vor allem das umfassende Gutachten der ExpertInnenkommission ist inhaltlich fundiert und problemorientiert und sollte viel mehr Beachtung finden – und zwar auf allen Ebenen. Doch wie groß das Interesse der Bundesministerin an diesem wirklich hervorragenden Bericht ist, zeigt sich exemplarisch darin, dass sie es nicht einmal für nötig gehalten hat, ihn selbst entgegen zu nehmen. Der Ansatz der Lebensverlaufsperspektive, den der Bericht verfolgt, macht eindrucksvoll deutlich, dass wir von einer in sich stimmigen Gleichstellungspolitik noch meilenweit entfernt sind – und zwar im Bund genauso wie in den Ländern“, so Astrid Rothe-Beinlich weiter.
Wenn in verschiedenen Lebensphasen unterschiedliche Anreize gesetzt werden – so zum Beispiel mit dem Ehegattensplitting einerseits die Alleinernährer-Ehe gefördert wird, gleichzeitig aber das Unterhaltsrecht die eigenständige Berufstätigkeit der Frauen priorisiert – hat das negative Auswirkungen vor allem für die Frauen.
„Besonders erschreckend ist, wie das Bundesministerium seinen eigenen Bericht ignoriert. Gleiches gilt aber auch für Thüringen. So widersprechen die Vorschläge zur Einführung eines Betreuungsgeldes oder das Festhalten am Landeserziehungsgeld eindeutig den Beschlussempfehlungen der ExpertInnenkommission. Dieses in Gesetzlichkeiten gegossene Misstrauen gegenüber einer anerkannten ExpertInnenkommission kann eigentlich nur mit ideologischer Verblendung erklärt werden und nicht mit sachlichen Notwendigkeiten“, gibt die frauenpolitische Sprecherin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu bedenken.
„Ein großer Verdienst des Berichts ist außerdem, dass er folgendes aufzeigt: Es sind die Strukturen, die geändert werden müssen. Es liegt nicht an den Frauen, sie sind gut ausgebildet und durchaus bereit, für ihre Existenzsicherung zu sorgen – sondern es sind Faktoren, wie eine fehlende Infrastruktur für Betreuung, Bildung und Pflege und gläserne Decken sowie fehlende Aufstiegschancen und Anerkennung und die schlechte Bezahlung, die Frauen zu schaffen machen. Da müssen wir ansetzen, auch in Thüringen“, ist Rothe-Beinlich überzeugt.
Ein Blick in die Universitäten des Freistaates zeigt eine klare Benachteiligung von Frauen in Spitzenpositionen. Während die Universitäten Erfurt und Jena einen Frauenanteil von 70,9 beziehungsweise 57 Prozent bei den Studierenden aufweisen, ist bei den Professuren nur noch ein Frauenanteil von 19 beziehungsweise 11,8 Prozent zu finden. Und das bei deutlich mehr Absolventinnen als Absolventen – an der Universität Jena sind 63 Prozent derjenigen, die ihr Studium abschließen, Frauen. Auch im akademischen Mittelbau finden sich noch zwischen 43 und 56 Prozent Frauen. Die gläserne Decke verwehrt den Frauen jedoch weiterhin den Sprung in Spitzenpositionen.
„Wir fordern daher an Thüringer Hochschulen eine Frauenquote für Spitzenpositionen. Und: Wir halten weiter an unserer Forderung nach einer verbindlichen Mindestquote für Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen großer Unternehmen fest“, so Rothe-Beinlich.
Ein weiteres Beispiel macht deutlich: Thüringen ist Niedriglohnland Nummer eins in Deutschland. Im vergangenen Jahr wurden mit durchschnittlich 14,91 Euro pro Stunde die niedrigsten Löhne im Bundesgebiet gezahlt. Von dieser Situation sind vor allem Frauen betroffen. Jede fünfte Frau in Thüringen verdient weniger als 469 Euro im Monat. Nahezu die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen im Freistaat ist prekär beschäftigt. Hinzu kommt, dass 85,6 Prozent der Teilzeitbeschäftigten in Thüringen Frauen sind. „Wir fordern eine eigenständige Existenzsicherung zum Schutz vor Armut“, stellt Rothe-Beinlich klar und ist überzeugt:
Zudem lässt im Freistaat die überfällige Novellierung des Gleichstellungsgesetzes schon seit Jahren auf sich warten. „Diese Hinhaltetaktik in Sachen Gleichstellung ist absolut inakzeptabel und eine Missachtung der Frauen und ihrer Lebensleistungen. Insofern hoffe ich, dass die heutige Veranstaltung auch praktische Folgen hat und nicht nur eine weitere Runde darstellt, in der mal wieder darüber geredet wird“, schließt die Grünenpolitikerin.