Chancen Feministischer Außenpolitik- Interview mit Laura Wahl

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Die Außen- und Sicherheitspolitik der vergangenen Jahre und Jahrzehnte hat zu einer Situation geführt, die viele Menschen im Stich lässt. Aktuell zeigt vor allem der Angriffskrieg in der Ukraine, dass wir alle unter patriarchalen Konzepten wie Aufrüstung oder Wehrpflicht leiden. Auch die Situation der Geflüchteten macht deutlich, dass wir Frauen und Kinder besonders schützen müssen. Die Außenpolitik ist nach wie vor von rassistischen Stereotypen und kolonialen Vermächtnissen geprägt.

Feministische Außenpolitik erkennt diese Ungerechtigkeiten, hinterfragt die sexistischen, kapitalistischen und militarisierten Machtverhältnisse kritisch und möchte diese Strukturen aufbrechen. Im Moment erleben wir mit Annalena Baerbock die erste Außenministerin, die den Fokus auf eine feministische Außenpolitik legt und somit eine große Chance auf einen echten Wandel in der bisherigen Außenpolitik ist.

Aus diesem Grund haben mit Laura Wahl, unserer Sprecherin für Frauen-, Gleichstellungs- und Queerpolitik über die Chancen feministischer Außenpolitik geredet.  

Was genau ist eine feministische Außenpolitik? Wie sehen ihre Forderungen und Konzepte aus? Wo liegen die Schwerpunkte?

Eine feministische Außenpolitik hat das Ziel, Lösungen für die vielen globalen Krisen anzubieten, bspw. die immer weiter ansteigenden Militärausgaben. So verzeichnete Deutschland im Jahr 2019 gegenüber 2018 einen Anstieg von 10%[1] bei den Militärausgaben. Kein anderes Land konnte solch einen Zuwachs verzeichnen. Aber auch die Klimakrise, die Angriffe auf die Rechte von Frauen und queeren Menschen weltweit oder aber der Aufstieg autokratischer Führungspersonen auf der ganzen Welt sind Probleme, mit denen sich die feministische Außenpolitik beschäftigt.[2]

Krisen und Konflikte sind nicht geschlechtsblind, sondern treffen Frauen, Männer oder nicht-binäre Personen unterschiedlich. Diese Tatsache sollte auch bei der Gestaltung der internationalen Politik einfließen. Die Forderung bzw. die Schwerpunkte sind vielfältig und decken dabei bspw. die „Entwicklungszusammenarbeit“, Frieden und Sicherheit, Migration oder Klimagerechtigkeit ab. 

Mit Anna-Lena Baerbock hat Deutschland zum ersten Mal eine Außenministerin. Außerdem verpflichtet sich Deutschland im Koalitionsvertrag zu einer „feminist foreign policy“. Wie würde eine feministische Außenpolitik für Deutschland aussehen?

Eine feministische Außenpolitik für Deutschland legt den Fokus auf die Menschen, die sonst nicht an erster Stelle stehen würden. Dazu gehören u.a. Frauen, Menschen mit Behinderungen, nicht Weiße Menschen oder queere Personen. Es geht darum, die Alltagsherausforderungen dieser Menschen ins Zentrum der internationalen Politik zu rücken. Annalena Baerbock spricht diese Thematik bei ihren Besuchen in anderen Ländern immer wieder an und setzt damit bisher wenig beachtete Themen auf die politische Tagesordnung. So traf sie sich bei ihrem Antrittsbesuch in Spanien mit Teresa Peramato, Staatsanwältin der Kammer für Gewalt gegen Frauen. Dabei sprachen die beiden über die rechtliche Situation von Frauen bei der Strafverfolgung von Gewaltdelikten. Deutschland hat darüber hinaus zahlreiche Verträge[3] unterzeichnet, die einen Handlungsspielraum für die internationale Gleichstellungspolitik vorgeben.

Warum braucht es eine feministische Außenpolitik?

Die Perspektive von Frauen und von queeren Menschen wurde jahrelang an Verhandlungstischen/-räumen nicht ausreichend berücksichtigt. Das hat direkte Auswirkungen auf die Menschen, vor allem in Konflikten oder Kriegen. Durch das intersektionale Verständnis einer menschenrechtsbasierten Politik, steht die menschliche Sicherheit im Zentrum einer feministischen Außenpolitik.   Ergebnisse von  Untersuchungen[4] zeigen, dass Friedensverhandlungen wesentlich erfolgreicher und vor allem nachhaltiger sind, wenn Frauenorganisationen und andere Vertreterinnen der Zivilgesellschaft aktiv und effektiv daran teilnehmen.

Ein Beispiel sind die Friedensverhandlungen 2020 in Afghanistan. Leider war auch da die personelle Besetzung der Verhandlungsteams seitens der Bundesregierung von einer paritätischen Beteiligung beider Geschlechter weit entfernt. Das Abkommen selbst weist schwerwiegende Lücken auf: es schließt die Rolle der afghanischen Regierung und somit implizit auch die Mitbestimmung der afghanischen Bevölkerung aus, es legt keinen verbindlichen Waffenstillstand fest und es garantiert die Freilassung 5.000 inhaftierter Taliban.  Eine Verpflichtung der Taliban auf Demokratie, Menschen- und Frauenrechte wird jedoch nicht erwähnt. 

Zur aktuellen Situation in der Ukraine: Wie würde sich das Vorgehen nach feministischer Vorgehensweise von der jetzigen Vorgehensweise unterscheiden? Auch in Bezug auf die Debatte über die Wehrpflicht?

Seitdem Baerbock Außenministerin ist, thematisiert sie in ihrer Rede immer wieder die Rechte von Frauen und Kinder, Familien oder Minderheiten. Das ist schon ein Unterschied zu ihren männlichen Vorgängern. So hat Baerbock während der Generaldebatte über das Sondervermögen der Bundeswehr, dem Vorsitzenden der CDU/CSU Fraktion Friedrich Merz deutlich erwidert, dass feministische Außenpolitik kein „Gedöns“ sei, sondern auf der Höhe der Sicherheits- und Außenpolitik des 21. Jahrhunderts ist.

Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine flammte auch in Deutschland wieder kurz eine Debatte über die Wehrpflicht auf. Gerade das Thema Militär macht deutlich, wie sehr auch Männer unter dem Patriarchat leiden. In Zeiten des Krieges wird offensichtlich, dass „Männlichkeit“ immer noch stark an Eigenschaften wie Leidensfähigkeit, Kampfbereitschaft oder Härte geknüpft ist. Frei nach dem Motto: „Nur ein kämpfender Mann ist ein guter Mann“. Ukrainische Männer dürfen nicht aus der Ukraine ausreisen, auch wenn sie nicht kämpfen wollen. Für mich bedeutet eine feministische Politik, dass jede*r selbstbestimmt darüber entscheiden darf, ob er*sie kämpfen möchte oder nicht. Das Recht auf Flucht gilt für alle.

Ist die Umsetzung einer „feminist foreign policy“ in Deutschland nur Wunsch oder wird sie auch Realität?

Ich glaube die Debatte im Bundestag um das Sondervermögen der Bundeswehr und die Rede Baerbocks zeigen nochmal deutlich, wie zentral sie eine feministische Außenpolitik vorantreiben will. Auch um eine feministische Außenpolitik den Menschen näher zu bringen, die die Anliegen und Forderungen bisher nicht verstanden haben. Aber es ist auch so: die aktuelle Regierung besteht noch nicht lange, es wäre also noch zu früh für eine Antwort auf die Frage, ob feministische Außenpolitik schon Realität ist.

 

Vielen lieben Dank für das Gespräch!

 

[1] Übersicht des Stockholmer Friedensforschungsinstitut SPIRI

[2] Vgl.  A Feminist Foreign Policy Manifesto for Germany (CFFP)

[3] Zum Beispiel: Resolution 1325 (2000) und die Resolution 1820 (2008); Leitlinien der EU betreffend Gewalt gegen Frauen und die Bekämpfung aller Formen der Diskriminierung von Frauen

[4] Vgl. Enhancing Women´s Leadership for Sustainable Peace in Fragile contexts in the MENA Region aus Starke Frauen für langanhaltenden Frieden (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, 2020). Auftraggeber der Studie ist das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

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